»wir sind SWICA!«
Dieser jahrzehntealte Slogan einer Schweizer Gesundheitsorganisation mit überdurchschnittlichem Grossfamiliensinn wurde am 01.08.2022 im Tagesanzeiger (Pflegeexpertin auf Hausbesuch / den Notfall daheim behandeln statt im Spital) publikumswirksam zelebriert.
Ich staune, die SWICA möchte mit motivierten Pflegeexpertinnen APN – eine MUA (Mir Unbekannte Abkürzung) – meinen Job machen! Allerdings vorläufig im Grossraum Zürich im Sinne eines Pilotprojekts, und später bei Erfolg, in anderen Regionen, vermutlich gleich im Wahlkreis Rheintal, denn hier würde ich bekanntlich im Weg stehen, und Konkurrenz belebt das Geschäft.
Im Moment mache ich mir deswegen keine Sorgen, denn die SWICA behandelt nur ernste, aber nicht alarmierende Fälle auf die genannte Art telemedizinisch. Gedacht als Entlastung der Notfallstationen sowie der Haus- und Notfallärzte und somit rein auf humanitären und hohen ethischen Grundsätzen basierend.
Aktuell sei die Finanzierung dieses Pilotprojekts nicht gesichert, lese ich. Die SWICA hat bei mir bis jetzt nicht den Eindruck hinterlassen hat, sie habe Heinrich Pestalozzis Erbe angetreten. Daher versucht sie wohl bei Medizinern, die seit Jahr und Tag patientenorientiert ihre ärztlichen Sorgfaltspflichten erfüllen, mit kruden und unsachlichen UUU-Vorwürfen (unwirksam, unzweckmässig, unwirtschaftlich) längst erstattete Honorare zurückzufordern, um das neue APN-Versorgungsmodell quer zu subventionieren.
Nun, was zeichnet diesen Paradenotfall überhaupt aus? An einem lauschigen Sommertag erleidet ein SWICA-Versicherter eine Herzrhythmusstörung, die er schon kennt und derentwegen er Medikamente einnimmt. Offensichtlich verschwinden diese Symptome meist von selbst. Ein paar Jahre zuvor musste sich das SWICA-Familienmitglied einer offenen Herzoperation unterziehen. Deswegen waren alle in seinem persönlichen Umfeld höchst besorgt. Trotzdem wartete der durch die Arrhythmie Geplagte noch vier Stunden, bis er sich telefonisch an eine Ärztin wandte. Diese bat ihn, noch ein paar weitere Stunden zu warten, dann besuche ihn eine Zürcher Spitex-Pflegeexpertin APN für eine professionelle Beurteilung und Untersuchung.
Soll heissen: Wegen Herzrhythmusstörungen in Angst und Bange sein und trotzdem stundenlang angespannt auf die SWICA-Telemedizinische-Pilotprojekt-Pflegefachfrau warten? Solche Wartefristen bieten wir Haus- und Notfallärzte bekanntlich schon seit Jahren an! Praktisch somit, dass ich altershalber keinen regionalen Notfalldienst mehr leisten muss und mich seit jeher als unzuverlässigen Hausarzt bezeichne. Schliesslich kann ich mich nicht an zwei Orten gleichzeitig befinden, in der regulären Sprechstunde und auf Notarzteinsatz.
Mit 50 kg Medizinalprodukten und zugehöriger Elektronik im Rolli-Schlepptau, machte sich die Pflegeexpertin in Zürichs sommerlicher Hitze auf den Weg, hoch motiviert sämtliche Höhenmeter überwindend und waltete ihres medizinischen Amtes. Ihre Bemühungen ergaben nach Rücksprache mit der telemedizinischen Ärztin, so ziehe ich meine Schlüsse nach der Lektüre, eine harmlose Herzrhythmusstörung, vermutlich ein Vorhofflimmern, das mit einer Dosiserhöhung, zum Beispiel einem Betablocker, günstig beeinflusst werden kann.
Und täglich grüsst der Sauglattismus! Im Gegensatz zur Pflegefachfrau, die hier als One-Woman-Show bezeichnet wird, fühle ich mich durchaus in der Lage, die EKG-Elektroden korrekt zu platzieren, bevor ich das abgeleitete Elektrokardiogramm allenfalls an einen Kardiologen zur Mitbeurteilung senden würde. Und, das Tyto wird uns als Alleskönner schmackhaft gemacht. Hört alles und sieht alles, zeichnet alles auf leitet alles weiter etc, womöglich bis in Alle Welt. Nicht schlecht, Herr Specht. Und, mit dem TytoHome, für den Heimgebrauch konzipiert, werden vermutlich nicht nur Ohren und Rachen inspiziert, sondern auch andere Körperregionen, gegebenenfalls bis zum #MeTytoo! Anfänglich dachte ich, beim Tyto handle es sich um ein exotisches Haustier aus Pippi Langstrumpf, diesbezüglich weit gefehlt. Bereits sehe ich neue, sinnvolle Einsätze für dieses elektronische Wunderding, zum Beispiel im Flüchtlingswesen: lauscht dem Kavernenjauchzen tuberkulöser Asylanwärter beim Grenzübertritt, um sie immediat der regionalen Lungenliga zu melden. Detektiert das Nonnensausen bei Anämien aller Art und spart somit die Bestimmung des Hämoglobinwerts im Blut, ebenfalls eine UUU-Laboranalyse, laut SWICA.
Die SWICA lehrt uns eindrücklich: ernst zu nehmende Situationen werden zukünftig mit WZW Tyto-Tyto, alarmierende telemedizinische Notfälle weiterhin mit UUU Tatü-Tata, gemeistert! Um den fliessenden Übergang, und, im vorliegenden Beispiel auch den Herzinfarkt nach stundenlangem Warten nicht zu verpassen, lässt die SWICA zur Sicherheit Vitaldaten erheben und einschlägige Laboranalysen durchführen.
Soll heissen: wenn unerwarteterweise die Vitaldaten nicht mit dem Leben vereinbar gewesen wären, und die einschlägigen Laboranalysen einen Herzinfarkt aufgedeckt hätten, würden wir im Tagesanzeiger über diesen Paradenotfall etwas lesen? Naja, schwarz umrandet möglicherweise. Und, die Situation wäre tatsächlich von Tyto-Tyto zu Tatü-Tata eskaliert!
Mit ihrem sicherheitsmedizinischen und damit apparate-, personal-, kosten- und zeitintensivem Denken reklamiert die SWICA diagnostische, therapeutische und tarifarische Freiheiten für sich, die sie mir und meinen regulären bzw. Notfall-Patienten seit bald drei Jahren kategorisch verweigert! Schon wieder habe ich die SWICA bei einer Ungleichbehandlung ihrer Mitglieder ertappt. Dennoch gelingt es mir jedes Jahr, Dutzende meiner Patienten vor unnötigen Rettungstransporten und Hospitalisationen bzw. Abklärungen in Notfallambulatorien zu bewahren. Das steht dann halt nicht in der Zeitung. Doch, schwarz umrandet auch schon.
Gleichsam boykottiert die SWICA mit ihren Repressionen die gesamte Schlagwortmedizin, die die Rettungsszene beherrscht: Time is Heart! Time is Brain! Time is Muscle! Time is Lung! Time is Pipifax! Und: Time is Tarmed! Letzteres mindestens für uns Ärzte.
Anscheinend verhalten sich die SWICA-Familienmitglieder weiterhin geduldig und nehmen lieber einen ungünstigeren Krankheitsverlauf oder gar den Tod in Kauf, nur um ihre persönliche SWICA-Sachbearbeiterin nicht zu verärgern.
Fortsetzung folgt.
Dr. med. Rolf Schück
FA Pneumologie und Allgemeine Innere Medizin FMH
Notarzt SGNOR
FA Praxislabor etc.